Wegen Friedensaufruf: 24 Wissenschaftler festgenommen

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Wissenschaftler bei der Verlesung ihres Aufrufes. Quelle

Jetzt wird es immer heftiger. Heute wurden in Kocaeli und Bolu im Westen der Türkei zum jetztigen(!) Zeitpunkt 24 WissenschaftlerInnen zu Hause oder an ihren Universitäten fest- bzw. in Untersuchungshaft genommen. Begründung: „Öffentliche Schmähung des Türkischen Volkes, des Staates der Türkischen Republik, des Türkischen Parlaments, der Türkischen Regierung und der Rechtsorgane des Staates“, sowie „Propaganda für eine Terrororganisation“. Unter den Festgenommenen befinden sich die ProfessorInnen Prof. Dr. Mehmet Cengiz Erçin, Prof. Dr. Mehmet Rauf Kesici, Prof. Dr. Onur Hamzao?lu, Prof. Dr. Özlem Özkan, Prof. Dr. Veli Deniz, Prof. Dr. Yücel Demirer und Prof. Dr. Zelal Ekinci. Sie hatten den am Montag veröffentlichten Friedensaufruf „Nicht in unserem Namen“ unterzeichnet, der zur Aufnahme von Verhandlungen und Wiedergutmachung aufruft. Wer weiß wie viele Festnahmen es heute und in den kommenden Tagen noch geben wird. Die Diktatur wird immer offensichtlicher.

Die Unterzeichner kommen von insgesamt 89 Universitäten des Landes. Gegen die meisten wird derzeit von der Universitätsleitung oder der Staatsanwaltschaft ermittelt, so auch gegen sieben UnterzeichnerInnen in Dersim. Aus Solidarität mit den Verdächtigten unterzeichneten weitere 13 Dozenten und Professoren dort ebenfalls die Erklärung.

Währenddessen nimmt die Unterstützung des Aufrufs landesweit zu.

  • 138 TheaterschauspielerInnen erklärten öffentlich ihre Unterstützung
  • 433 FilmemacherInnen ebenfalls. Sie erklärten: „Wir stehen an der Seite der Gleichheit und des Friedens. An der Seite des Rechts auf Leben. Auf der Seite des freien Denkens und der Kunst. (…) Ohne wenn und aber, wir stehen an der Seite der „Wissenschaftler für den Frieden“
  • Mehr als 150 JournalistInnen, darunter bekante Namen wie Ahmet Sik (ebenfalls mit Hafterfahrung), meldeten sich nun auch zu Wort: „Wir erklären öffentlich, dass wir in unsere Arbeit in Friedenszeiten und nicht in Kriegszeiten leisten wollen. Wir stehen an der Seite der Wissenschaftler“
  • Auch mehr als 164 AutorInnen und SchriftstellerInnen zeigen sich solidarisch: „Wir beteiligen uns mit unseren Herzen und Stiften an dem Aufruf für Frieden und Verhandlungen“
  • Immer mehr Studierende erklären ebenfalls ihre Solidarität. Genaue Zahlen gibt es noch nicht.

Auch Drohungen nehmen zu

Mittlerweile wird der Aufruf von mehr als 2000 WissenschaftlerInnen aus der Türkei und 300 aus dem Ausland unterstützt. Gleichzeitig nehmen die Drohungen gegen die UnterzeichnerInnen zu. Die Tageszeitung Yeni Akit, ein religiös-nationalistisches Revolverblatt der AKP veröffentlichte (siehe Bild) alle Namen der UnterzeichnerInnen unter der Überschrift: „Hier die die Namen der Wissenschaftler, die das Manifest des Verrats unterschrieben haben“.
Der AKP-nahe Mafiapate Sedat Peker erklärte auf seiner Internetseite: „Wir werden euer Blut in strömen fließen lassen und uns mit eurem Blut duschen“

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Die Yeni Akit Zeitung veröffentlicht alle UnterzeichnerInnen des „Manifests des Verrats“

Solidarität ist gefragt!

Die Seite des Friedensaufrufes barisicinakademisyenler.net wurde gestern zum wiederholten Male von türkischen Nationalisten gehacked. Die Facebook-Seite geht aber nach wie vor. Da der Aufruf nun nicht mehr so leicht zu finden ist, hat ihn Medico International mit einem Unterstützungsaufruf veröffentlicht. Hier findet ihr den Aufruf auch noch mal in voller Länge auf Deutsch:

Aufruf: „Nicht in unserem Namen!“ –  11. Januar 2016

„Der Türkische Staat verurteilt seine Bürger/innen in Sur, Silvan, Nusaybin, Cizre und in vielen weiteren Orten mit wochenlangen Ausgangssperren zum Verhungern und Ausdursten. Unter kriegsartigen Zuständen werden ganze Viertel und Stadtteile mit schweren Waffen angegriffen. Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, auf Freiheit und Sicherheit vor Übergriffen, insbesondere das Verbot von Folter und Misshandlung, praktisch alle Freiheitsrechte, die durch die Verfassung und durch von der Türkei unterzeichnete internationale Abkommen unter Schutz stehen, werden verletzt und außer Kraft gesetzt. Diese gezielt und systematisch umgesetzte gewaltsame Vorgehensweise entbehrt jeglicher rechtlicher Grundlage. Sie ist nicht nur ein schwerwiegender Eingriff in die Rechtsordnung, sondern verletzt internationale Rechtsnormen wie das Völkerrecht, an die die Türkei gebunden ist.
Wir fordern den Staat auf, diese Vernichtungs- und Vertreibungspolitik gegenüber der gesamten Bevölkerung der Region, die jedoch hauptsächlich gegen die kurdische Bevölkerung gerichtet ist, sofort einzustellen. Alle Ausgangssperren müssen sofort aufgehoben werden. Die Täter und die Verantwortlichen der Menschenrechtsverletzungen müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Die materiellen und immateriellen Schäden, die von der Bevölkerung zu beklagen sind, müssen dokumentiert und wiedergutgemacht werden. Zu diesem Zweck verlangen wir, dass nationale und internationale unabhängige Beobachter freien Zugang zu den zerstörten Gebieten erhalten, um die Situation vor Ort einzuschätzen und zu dokumentieren.
Wir fordern die Regierung auf, die Bedingungen für eine friedliche Beilegung des Konflikts zu schaffen. Hierfür soll die Regierung eine Roadmap vorlegen, die Verhandlungen ermöglicht und die Forderungen der politischen Vertretung der kurdischen Bewegung berücksichtigt. Um die breite Öffentlichkeit in diesen Prozess einzubinden, müssen unabhängige Beobachter aus der Bevölkerung zu den Verhandlungen zugelassen werden. Wir bekunden hiermit unsere Bereitschaft, freiwillig an dem Friedensprozess teilzunehmen.
Wir stellen uns gegen alle repressiven Maßnahmen, die auf die Unterdrückung der gesellschaftlichen Opposition gerichtet sind. Wir fordern die sofortige Einstellung der staatlichen Repressionen gegen die Bürger/innen. Als Akademiker/innen und Wissenschaftler/innen dieses Landes bekunden wir hiermit, dass wir nicht Teil dieser Verbrechen sein werden und in den politischen Parteien, im Parlament und in der internationalen Öffentlichkeit, Initiative ergreifen werden, bis unser Anliegen Gehör findet.“

Unterstützungserklärungen können an info@barisicinakademisyenler.net oder an barisicingazeteciler@gmail.com gesendet werden! Lieber beide Emailadressen in CC setzen, falls eine davon gehackt sein sollte.

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