Tarehe Sita Day

Feldnotizen vom 06/7.02.16

Am gestrigen Samstag und auch am heutigen Sonntag stand jeweils nur ein Interview auf der Tagesordnung. Es ist Wochenende und die Recherche, Kontaktaufnahme, Interviewführung ist ziemlich kräftezehrend. Ursprünglich hatte ich vor, einen Großteil der Interviews schon in Uganda zu transkribieren, aber den Plan muss ich wohl aufgeben – es sei denn ein Tag hat auf einmal 48 und nicht nur 24 Stunden. Das die Interviews jetzt erst ab April in Deutschland verschriftlicht werden ist eigentlich nicht ideal, denn die Gedanken und die Gesprächssituation sind dann nicht mehr frisch im Kopf. Jedoch: Durch das Schreiben dieser Feldnotizen, die eher journalistischen Berichten gleichen, durch das Notieren weiterer Stichpunkte und die Fotos der Interviewpartner glaube ich, die Erinnerungen relativ frisch halten zu können – was anderes bleibt mir gar nicht übrig.

John Kakande – New Vision

Der New Vision Verlag mit einem Teil seines Angebots

Der New Vision Verlag mit einem Teil seines Angebots

Um 11 Uhr Vormittags fahre ich in die Redaktion der New Vision, die zum gleichnamigen Verlag gehört, der zu 51% im Besitz des Staates ist. Neben der New Vision wird hier unter anderem auch die Bukkede produziert, die mit einer Auflage von ca. 40.000 die meistgekaufte Zeitung des Landes ist. Allerdings ist Bukkede auf Luganda, sodass ich nichts verstehe. Doch da die beiden Zeitung im selben staatsnahen Verlag erscheinen, sind die redaktionellen Richtlinien sehr ähnlich. An der Rezeption wartet John Kakande auf mich, ein Urgestein des Journalismus. Seit 1986 ist er Journalist und seit 1994 bei der New Vision. Während bei anderen Medien die Fluktuation äußerst hoch ist und viele Journalisten ihre Arbeit als Sprungbrett in andere Wirtschaftssektoren nutzen, findet man bei der New Vision sehr viele langjährige Mitarbeiter, vermutlich auch weil die Zeitung im Durchschnitt höhere Löhne zahlen kann. Kakande ist Koordinator sämtlicher Wahlberichterstattung der Zeitung – also genau der richtige Gesprächspartner.
Gleich zu Beginn des Gesprächs, spreche ich ihn auf die ACME-Reports an und ob diese einen Einfluss auf die Redaktion hätten. Seine Antwort: Er schätzt die Arbeit von ACME und versuche die Ergebnisse zu berücksichtigen. So begleitet jeweils ein Reporter-Team Museveni, Mbabazi und Besigye auf ihren Wahlkampftouren. Innerhalb der Zeitung finde sich eine ausgeglichene Vielfalt von Berichten über die Kandidaten, so der altgediente Journalist. Dies ist übrigens eine Aussage, die von Dr. Mwesige, dem Leiter von ACME, im Gespräch am Freitag so bestätigt wurde. Warum denn auf der Titelseite meistens Museveni zu sehen sei, frage ich. Dies liege daran, dass ihm eine Doppelrolle zukomme, er ist zum einen Präsident des Landes und als Zeitung, die zu 51% im Besitz des Staates ist, müsse man über die Aktivitäten des obersten Machthabers mit hoher Priorität berichten. Zum anderen ist er auch noch Präsidentschaftskandidat, der auch deswegen oft auf Seite 1 stehe. Er ist sich des Problems bewusst, aber die Eigentumsverhältnisse seien nun einfach mal so wie sie sind.

John Kakande - Koordinator sämtlicher Wahlberichterstattung der New Vision

John Kakande, Koordinator sämtlicher Wahlberichterstattung der New Vision, hinter seinem Schreibtisch

Sein wichtigstes Ziel in der Berichterstattung über die Wahlen sei es Wähler-fokussiert und nicht Kandidaten-fokussiert zu berichten. Dazu gehöre es die Wahlprogramme zu analysieren, Wähler zu befragen und beides miteinander abzugleichen. Wichtig sei es, die Kandidaten dazu zu bringen, auf die Wünsche und Bedürfnisse der Wähler einzugehen.
Insgesamt fühle er einen gewissen Druck seitens der Leser. NRM-Anhänger würden davon ausgehen, dass die Zeitung zu 100% in Staatsbesitz ist und sich deshalb beschweren, dass die Opposition in der Zeitung zu viel Raum bekomme. Während Gegner der Regierung sich darüber aufregen, dass die New Vision immer nur Pro-Museveni berichte. Klassischer Fall von Hostile-Media-Effekt, also der Wahrnehmung von Menschen mit stark ausgeprägten Meinungen (in diesem Fall pro oder kontra NRM/Museveni), dass die Medienberichterstattung immer befangen und tendenziös gegenüber der Meinung der eigenen Gruppe läuft. Dabei versuche er die Artikelanzahl, die Länge und den Tenor so ausgeglichen wie möglich zu halten, so Kakande. Äußere Einflüsse seitens der Regierung oder regulativer Behörden gebe es dabei nicht. Es komme vor, dass Berater des Präsidenten anrufen und sich eine gewisse Berichterstattung wünschen, das spiele für ihn aber keine große Rolle.
Wohingegen die Situation auf dem Land eine gänzlich andere sei, so der Journalist. Private Radiostationen, wie schon öfters geschrieben, befinden sich dort meistens in der Hand von regierungsnahen Geschäftsmännern oder Politikern und hohen Beamten. Dort sei es für die Opposition so gut wie unmöglich einen Platz in der Berichterstattung zu erhalten, selbst wenn sie dafür bezahle, da die direkten Einfluss- und Durchgriffsmöglichkeiten viel stärker seien. So fürchteten die Besitzer der Stationen den Entzug von Werbespots seitens der lokalen Behörden, oftmals die Hauptkunden dieser Radios. Bei ländlichen Radiostationen hingegen, die zur New Vision Gruppe gehören, sei dies anders. Diese sind zwar wie gesagt zu 51% im Besitz des Staates, aber die Zentrale liege in Kampala und somit besteht, zum Beispiel für die Resident District Commissioners, keine Möglichkeit das Programm direkt vor Ort durch Entzug von Werbung oder Drohungen zu beeinflussen. Paradoxerweise, sagt Kakande, haben es oppositionelle Kandidaten auf dem Land leichter im staatsnahen Radio aufzutreten, als in privaten Radioanstalten. Das ist in der Tat eine interessante Erkenntnis, die ich bei meiner morgen anstehenden Reise 500km ins Landesinnere überprüfen werde.

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Blick auf einen Teil der New Vision-Redaktion

Zum Schluss bemerkt der sympathische Journalist, dass Wahlen und Medien in Afrika generell immer nur relativ frei seien. Uganda würde zwar im ostafrikanischen Vergleich, zum Beispiel zu Ruanda, recht gut dastehen, aber er würde sich freuen, wenn es mehr Kritik seitens des Westens an Uganda geben würde, zum Beispiel an der Wahlkommission, die die Wahlkampfzeit auf nur knappe drei Monate beschränkt und alle Wahlkampfkundgebungen nach 18 Uhr abends verboten hat. „Der Westen will in Uganda wahrscheinlich einfach nur Wahlen, aber keinen eigentlichen Wechsel haben“, so die überraschende Aussage des Journalisten. Viel mehr sei Europa und Amerika am Erhalt des Status Quo und der Vertiefung der Geschäftsinteressen gelegen, deshalb komme keine Kritik.
Nach dem Interview führt mich Kakande durch die Redaktion, ich fotografiere fleißig. Bei der Verabschiedung meint er noch, dass bei der Einstellung von Journalisten bei der New Vision nicht nach der politischen Gesinnung gefragt werde, er wisse bei einem Großteil gar nicht wie sie politisch ticken würden.Wie ihr vermutlich schon bemerkt habt, ist das Gespräch mit John Kakande sehr offen und (selbst-)kritisch gewesen.

35 Jahre UPDF

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Militarismus und Volksfest zugleich – Tarehe Sita Day

Bei der Heimfahrt bemerke ich laute Musik und Menschenmassen, die auf den Kololo Airstrip, dem Exerzier- und Aufmarschplatz für Feierlichkeiten der Armee, neben dem ich wohne, strömen. Was dort vor sich gehe, frage ich einen Polizisten. Das sind die Tarehe Sita-Feierlichkeiten zur 35-Jahrfeier der Uganda People´s Defence Force, der ugandischen Armee. Heute vor dreieinhalb Jahrzehnten führte die Nationale Widerstandsarmee NRA ihren ersten Angriff auf die Kabamba-Barracken durch und begann so den fünf Jahre währenden Guerillakrieg, der 1986 mit einem Sieg Musevenis endete. Die diesjährigen Feierlichkeiten standen unter dem Motto: „UPDF: Die Volksarmee. Avantgarde der Revolution und Garant für Frieden und Stabilität, für sozial-ökonomische Transformation und Demokratie.“ Neugierig schließe ich mich den Menschen an und setze mich auf die Bühne, die den gesamten Platz überblickt. Das ganze Spektakel ist eine Mischung aus militärischem Aufmarsch und Volksfest, vermutlich um die Nähe zu den Menschen zu demonstrieren. Auf der Bühne rappen Soldaten oder singen Reggae/Dancehall-Lieder und überall laufen Snack-Verkäufer herum, während der Moderator den Menschen einheizt. Zwischendurch spielt eine Militärkapelle ganz schöne Lieder und alle halbe Stunde schlagen die Soldatenformationen, die zu Hunderten in Formation auf dem Platz in der sengenden Sonne stehen, die Hacken zusammen. Zwischen den Sitzreihen laufen Zeitungsverkäufer herum, die die ganze Palette der verfügbaren Zeitungen an den Mann / die Frau bringen wollen.2016-02-06 12.34.39
Eine witzige Situation, insgesamt sind es geschätzte zehntausend Menschen und ich der einzige Muzungu. Das scheint die Leute aber nicht zu stören, ich werde kaum beachtet, dass ist angenehm. Irgendwann kommt Präsident Museveni wie ein amerikanischer Präsident vorgefahren, die Menge tobt. In einem offenen schwarzen Jeep fährt er salutierend und winkend an den in Reih und Glied stehenden Soldaten vorbei – so etwas kennt man sonst nur aus Hollywoodstreifen. Auffallend ist, dass es zwar eine Art Staatsakt ist, dieser aber natürlich auch zum Wahlkampf genutzt wird – die Verschmelzung von Staat und (Staatspartei) NRM wird hier deutlich. Jeder Zweite Besucher hat ein NRM-Shirt mit Museveni-Konterfei an oder ein Fähnchen mit seinem Antlitz in der Hand. Das ist schon ein ziemlicher Personenkult. Die Leute kommen übrigens freiwillig, sie wurden nicht mit Bussen hingefahren, sondern strömen zu Dutzenden, Hunderten von überall her auf den Platz. Vielleicht auch weil viele gute Sänger und Tanzgruppen auftreten. Man muss auch festhalten, dass die anwesenden Soldaten und Polizisten durchweg sehr nett und höflich sind und nicht das Rowdy-gehabe deutscher Polizisten an den Tag legen. Noch bevor Museveni seine Rede hält, gehe ich nach Hause. Ich habe mir bei der gleißenden Sonne einen leichten Sonnenbrand geholt und sehe gerade aus wie ein Alkoholiker mit Schnapsnase.

Ahmed Hadji – Jugendaktivist der AYDL

Am Sonntag morgen um 10 Uhr habe ich im Hotel Africana ein Gespräch mit Ahmed Hadji, der Aktivist von African Youth Development Link ist. AYDL und weitere Jugend-NGOs haben das National Youth Manifest 2016-2021 herausgebracht, in der jugendspezifische Forderungen bezüglich Gesundheit, Ausbildung, Sport und Kultur an die Kandidaten aller Parteien aufgestellt werden. Sie wollen damit eigene Akzente im Wahlkampf setzen und nicht nur von den verschiedenen Parteien als Stimmvieh benutzt werden, erzählt er mir. Ahmed repräsentiert also den jungen Teil der Zivilgesellschaft Ugandas. Kritisch muss man anmerken, dass diese stark „NGOisiert“ ist, also durch Hilfsgelder aus dem Ausland (teils künstlich) am Leben gehalten wird. Das ist aber nicht immer der Fall, so zum Beispiel bei Ahmed. Begeistert erzählt er mir, wie sie in Kampala zu den einzelnen Unterpunkten des Jugendmanifests Diskussionsrunden mit Jugendvertretern der drei größten politischen Parteien, NRM, FDC und Go Forward organisieren. Heute steht eine Debatte zur Sport- und Kulturförderung für Jugendliche an, die Live von NTV übertragen werden wird. Um uns herum herrscht reger Aufbaubetrieb, Kabel werden verlegt, Mikrofone getestet. Für Ahmed sind die Medien „ein kritischer Verbündeter unsere Agenda auf die Tagesordnung der Politik zu setzen“. Auch bei der heutigen Diskussion erwartet er große Medienbeteiligung.

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Ahmed Hadji

Aber klar ist auch: Dafür muss gezahlt werden. Journalisten bekommen Ver- pflegung, Fahrtkosten und wenn benötigt eine Unterkunft. Auch an NTV ist Geld geflossen, damit die Debatte live im Fernsehen übertragen wird.
Das Ziel der AYDL ist es Jugendthemen in die Medien zu bringen und Jugendliche als eigenständigen, unabhängigen Akteur zu positionieren, der bei den Wahlen nicht übergangen werden kann. Uganda ist übrigens eines der jüngsten Länder der Erde, mehr als 70% der Bevölkerung ist unter 30 Jahre. Nicht nur in der Hauptstadt sind sie dabei aktiv, sondern auch auf dem Land, wo die meisten Jugendlichen leben. In mehr als 30 Distrikten wurden Radiodiskussionen mit Jugendlichen und Politikern der großen Parteien organisiert. Die Regierung störe sie dabei nicht. „Früher gab es ein paar Probleme mit den Resident District Commissioners, aber bei diesen Wahlen nicht mehr“, sagt Ahmed. Gleichzeitig gibt es eine „Media Monitoring Section“ innerhalb der AYDL, die beobachtet, wie die Medien über die Forderungen der Jugend bei den Wahlen berichten. Dabei versuchen sie auch mit eigenen Kommentaren zu intervenieren, die dann im Daily Observer oder im Observer veröffentlicht werden. Bei der New Vision sei es eher schwer, eigene Kommentare zu setzen, da dort sehr viele eigene Journalisten und Kommentatoren arbeiten, so der Aktivist. Bei der derzeitigen Wahlberichterstattung störe ihn der starke Gewalt-Bezug der Medien. Anstatt für friedliche Wahlen einzutreten, versuchen einige Boulevard-Medien eine gewalttätige Stimmung unter den Jugendlichen hervorzurufen – „The tabloid set a very wrong agenda“. Diesen Frame wollen sie mit den Diskussionsrunden aufbrechen. Dort kommen Jugendliche aus Parteien, Zivilgesellschaft oder die einfach nur politisch interessiert sind, zusammen und debattieren.2016-02-07 15.36.43

Und wie, das kann ich mir drei Stunden später direkt anschauen. Mittlerweile ist der Saal brechend voll, mehr als 200 Jugendliche sind gekommen. NTV-Angestellte laufen gestresst herum und checken zum letzten Mal die Einstellungen für die Live-Übertragung. Auf dem Podium sitzen ein bekannter Moderator, ein junger Vertreter des Forum for Democratic Change und eine junge Vertreterin von Go Forward. Der Platz der derzeitigen Regierungspartei NRM bleibt leer – sie sind einfach nicht aufgetaucht. Das spricht für sich, obwohl sie an den letzten Debatten teilgenommen haben sollen, sagt Ahmed. Über 90 Minuten wird nun debattiert, die Parteienvertreter bekommen erst fünf Minuten Redezeit, um ihr Programm bezüglich Sport- und Kulturförderung vorzustellen und dann hat das Publikum die Möglichkeit fragen zu stellen. Das funktioniert wunderbar und die Debatte verläuft sehr sachlich und wird durch die Kommentare des Moderators aufgelockert. Das Publikum ist ziemlich bunt, viele Frauen sind anwesend. Als ich im Interview Ahmed gefragt habe, ob diese Diskussionsangebote nur von privilegierteren Klassen wahrgenommen werden, verneint er. Heute sei ein ganzer Bus mit 70 Jugendlichen aus den Slums von Kampala da, um mitzudiskutieren. Auch eine Reihe Gehörloser sind dabei und bekommen die Debatte per Gebärdendolmetscher direkt übersetzt. Insgesamt eine wirklich interessante Veranstaltung, die in Deutschland ihresgleichen suchen würde. Gegen Ende kommt auch der bekannte ugandische Sänger Michael Ross zu Wort und spricht über seine Vorstellungen von Kulturförderungen, die sich leider eigennützig auf die strikte Anwendung des Copyright-Gesetzes in Uganda beschränken.
Trotzdem hier sein neuestes Musikvideo:

Gut gelaunt gehe ich nach Hause, das Hotel Africana liegt in Fußweite. In den Medien hat hier übrigens die gestrige kurzzeitige Festsetzung eines BBC-Filmteams im Abim-Distrikt für Aufregung gesorgt. In diesem Distrikt liegt eine sehr heruntergekommene Klinik, die Dr. Besigye als Wahlkampfort benutzt hat, um auf die schlechte Situation im Gesundheitssystem aufmerksam zu machen. Nun wollte das Filmteam vor Ort drehen und wurde dabei kurzzeitig inhaftiert, aber nach einigen Stunden mit einer Entschuldigung freigelassen.
Menschenrechtsanwalt Nicholas Opiyo, dessen Organisation chapter four sich für den Ausbau der bürgerlichen Freiheiten einsetzt und mit dem ich bezüglich einer Interviewanfrage gerade in Kontakt bin, äußerte sich wie folgt: „Diese Festnahmen senden eine erschreckende Nachricht an die Medien, ersticken die Medienfreiheit und verweigern letztendlich den Menschen in Uganda ihr Recht auf Information.“ Den genauen Grund der kurzfristigen Festsetzung konnte ich noch nicht erfahren.
Morgen geht es für drei Tage aufs Land, nach Nebbi und Arua, wie schon angekündigt. Der Laptop bleibt in Kampala, deshalb wird es jetzt bis Mittwoch keine Updates hier geben