Türkei-Update 27.12.16

Auch über die Weihnachtsfeiertage sind die, eigentlich unglaublichen, Entwicklungen in der Türkei immer weiter fortgeschritten. Hier ein Versuch einige dieser Geschehnisse für euch zusammenzufassen. Die folgenden fünf Kurznachrichten sind nur einige wenige Beispiele der Geschehnisse der letzten Tage. Es ist mir leider zeitlich nicht möglich alle Entwicklungen immer festzuhalten. Das wurmt mich selber, aber ich mache das ja auch nicht hauptberuflich.

5. „Wir sind wieder gekommen, ihr Kleider tragende Genossen“
In der Nacht von Montag auf Dienstag wurden die Strukturen der HDP in Sultanbeyli von der Polizei angegriffen. Sieben HDP-Aktivisten, darunter der örtliche Vorsitzende Selahattin Yilmaz, wurden in Untersuchungshaft genommen und das Parteibüro von den Polizisten zerstört. Sie hinterließen, wie so oft, an die Wände gesprühte Nachrichten. Darunter drei Halbmonde als Zeichen der türkischen Grauen Wölfe und den Spruch „Wir sind wieder gekommen, ihr Kleider tragende Genossen“ (Bild), als manifester Ausdruck der Homophobie türkischer Sicherheitskräfte (mehr Bilder der Zerstörung des Parteibüros findet ihr hier).
In anderen Teilen des Landes ging die Jagd auf kurdische linke Aktivisten und Politiker ebenfalls weiter. In der Gemeinde Ömerli bei Mardin wurde zum Beispiel der Ko-Bürgermeister Süleyman Tekin in Untersuchungshaft genommen. Auch die Spitzenpolitikerin und stellvertretende Vorsitzende der HDP, Aysel Tugluk, wurde am 25.12.16 inhaftiert. Sie war von 2007-2015 Parlamentsabgeordnete.
(Quelle 1, 2, 3)
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4. Türkische Medien-„Realität“
Ein Beispiel wie türkische Medien seit Jahren arbeiten. Diese Schlagzeile prangte gestern auf der Titelseite der Yeni Safak, eine der größten Tageszeitungen des Landes: „2000 IS´ler haben sich der PKK angeschlossen.“ Eine Nachricht, die jeglicher Grundlage entbehrt. Wieso sollten sich islamistische Kämpfer des IS, deren größter Feind die kurdische Freiheitsbewegung darstellt, ausgerechnet der PKK anschließen? Solche Schlagzeilen dienen der Aufrechterhaltung eines AKP-Weltbilds, das davon ausgeht, dass der IS, die PKK, die DHKP-C und die Gülen-Sekte alle unter einer Decke stecken und vom Westen unterstützt werden, um die „große aufstrebende“ Türkei an der Entwicklung zu hindern.
Das Problem an der Sache: Durch die absolute Gleichschaltung der türkischen Mainstream-Medien, in der diese einfache Propaganda tagtäglich wiederholt wird, glaubt ein großer Teil der türkischen Bevölkerung diese platten Lügen. (Quelle)

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3. Berichterstattungsverbot für Karlov-Mord
Normalerweise erläßt der türkische Rundfunkrat RTÜK immer nur direkt nach einem Anschlag ein Berichterstattungsverbot für Medien, das mal mehr, mal weniger eingehalten wird. Im Bezug auf die Ermordung des russischen Botschafters Andrey Karlov letzte Woche wurde am gestrigen Montag ein erneutes Verbot erlassen, das die Berichterstattung über Details am Mord und über den Attentäter untersagt. Dies geschehe „zum Schutz der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, sowie zum Schutz der nationalen Integrität.“
Stunden vor der erneuten RTÜK-Anordnung veröffentlichte die türkische Tageszeitung Hürriyet ein Interview mit der Schwester des Attentäters. Während Erdogan und andere AKP-Spitzenpolitiker zwanghaft versuchen, den Mörder Mert Altintas mit der Gülen-Sekte in Verbindung zu bringen, bestreitet seine Schwester das massiv und weist darauf hin, dass er im Zuge der „Säuberungen“ nach dem Putsch nicht entlassen worden sei. Altintas ist in den letzten Jahren sogar mehrmals als Beschützer bei Erdogan-Auftritten im Einsatz gewesen. Diese Leute werden normalerweise speziell geprüft. Die Schwester sagte in dem Interview zudem, dass ihr Bruder nie auf eine Gülen nahe Schule zur Vorbereitung für die Universitäts-Aufnahmeprüfung gegangen und er bis zur Aufnahme in den Polizeidienst nie wirklich religiös gewesen sei.
Andere Mitglieder der Altintas-Familie legten in anderen Presseberichten Wert auf die Feststellung, dass sie Kemalisten und Atatürk-Anhänger seien und nichts mit Gülen am Hut hätten.
Es scheint der AKP nicht zu gelingen, den Mord der Gülen-Sekte in die Schuhe zu schieben. Deshalb reagieren ihre Behörden jetzt mit Berichterstattungsverboten, damit die Hintergründe des Mordes nicht in einer breiten Öffentlichkeit diskutiert werden können. Womöglich würde dann ja sogar eine Verbindung von AKP-Strukturen oder zumindest einer ähnlichen Denkweise der Regierungspartei mit dem Mord ans Tageslicht kommen? (Quelle 1, 2)

2. Konzentrationslager und Amputationen als Strafe für Gülen-Anhänger?
Unterdessen mehren sich Stimmen aus dem AKP-Lager, die drastische Strafen für Anhänger der Gülen-Sekte fordern. Ein bekannter islamischer Kleriker fordert die Religionsbehörde Diyanet dazu auf, den Gülen-Leuten Strafen zukommen zu lassen, wie sie schon im Koran festgelegt worden seien: Hände und Füße abschlagen. Die Diyanet-Behörde solle hierfür eine entsprechende Fatwa erlassen.
Cemil Barlas, ein Journalist der pro-Regierungs Nachrichtensendung A Haber TV forderte in einer Diskussion unterdessen eigene Lager für Gülen-Anhänger zu errichten. Wörtlich sagte er: „Fast 150.000 von ihnen wurden entlassen. Sie haben kein Geld. Dafür sollte es eine Lösung geben. Zum Beispiel könnten ihnen Essensscheine gegeben werden oder sie könnten alle zusammen an einem Ort eingesperrt werden. Alles in allem wird es mehr als 500.000 von ihnen geben, ohne Haus, ohne Geld und niemand will sich zusammen mit ihnen zeigen lassen.“
(Quelle 1, 2)

1. Mehr als 1600 Festnahmen in einer Woche
Alleine in der letzten Woche wurden 1604 weitere Menschen aufgrund von PKK und Gülen-Vorwürfen festgenommen. Die letztwöchige Ankündigung des türkischen Innenministers im Jahr 2017 mehr als 170 neue Gefängnisse zu bauen, findet damit eine Grundlage. Laut einer Erklärung des Innenministeriums wurden „in der letzten Woche bei Operationen gegen die PKK/KCK Terrororganisation 508 Menschen in Untersuchungshaft genommen und 78 Personen dauerhaft inhaftiert.“
Zudem ging auch die Staats“säuberung“ von echten oder vermeintlichen Gülen-Anhängern, FETÖ (Fethullah Terrororganisation) genannt, weiter. 1096 Personen wurden in diesem Zusammenhang festgenommen und 426 Menschen dauerhaft inhaftiert. Wie lange soll das noch so weiter gehen? (Quelle)