Netzwerk Kritische Kommunikationswissenschaft gegründet

Am 31. März 2017 gründete sich in Düsseldorf das Netzwerk Kritische Kommunikationswissenschaft (kurz: KriKoWi oder so ähnlich). Bereits in den Tagen zuvor waren zwölf deutschsprachige Kommunikationswissenschaftler, vom Master-Absolvent bis zum Professor, mit einem Gründungsaufruf an die (Fach-)Öffentlichkeit getreten. Das Interesse und Feedback war erstaunlich groß. Mehr als 30 KollegInnen fanden sich Ende März am Rande der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft e.V. zusammen, um das Netzwerk zu gründen und über die zukünftige Arbeit zu diskutieren.

Kritik?

Dabei stand die Frage im Raum, was unter kritischer Kommunikationswissenschaft überhaupt zu verstehen sei. Der Gründungsaufruf dazu war bewusst offen gehalten und nannte „verschiedene Theorietraditionen, wie die kritische Politische Ökonomie der Medien und der Kommunikation, die kritischen Cultural Studies, den Autonomen Marxismus, die Frankfurter Schule, postmoderne und feministische Medientheorien, aber auch kritische psychoanalytische Ansätze. Auch viele aktuelle Initiativen wie Platform Cooperativism, Free/Libre Open Source Software, Adbusting, Medienreformbewegungen, Non-Profit Free Open Access und Alternative Medien.“ Die Diskussion läuft noch und erst in den kommenden Monaten wird sich dazu vermutlich ein Standpunkt bilden.

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Marx grüßt das Netzwerk. Aber nicht nur er.

Einige Teilnehmer, auch ich, legten Wert darauf, dass darunter vor allem eine kritische Thematisierung von Macht- und Herrschaftsverhältnissen, von (sozialen) Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten innerhalb der Gesellschaft und eine Kapitalismuskritik, also zum Beispiel eine Kritik der Politischen Ökonomie der Medien, fallen. Entsprechende Ansätze sind in der deutschen Kommunikationswissenschaft institutionell gezielt verdrängt und ausgeschlossen worden. Zu groß war die Angst, Ablehnung und Konkurrenz. Erinnert sei nur an Horst Holzer, der durch ein Berufsverbot daran gehindert wurde eine Professur zu erhalten und seine kritische Forschung weiter zu betreiben. Das Buch „Adornos Erben in der Kommunikationswissenschaft. Eine Verdrängungsgeschichte?“ von Andreas Scheu zeigt einige weitere entsprechende Fälle auf. Eine interessante Debatte zur Rolle von kritischen Wissenschaftlern und Studierenden an den hiesigen Universitäten findet derzeit auf dem Lower Class Magazin und in der aktuellen Ausgabe der analyse&kritik statt.

Lange Rede kurzer Sinn: Die Gründung eines solchen Netzwerkes war überfällig. Das zeigen alleine schon die mehr als 70 Kommunikationswissenschaftler, die sich bisher in den Netzwerk-Verteiler eingetragen haben (Sollte Interesse am Verteiler bestehen, schreibt einfach eine Email inkl. Beweggrund an Kerem.Schamberger@ifkw.lmu.de).

Auf dem Netzwerk-Gründungstreffen gab es Vorschläge zur Sammlung kritischer Literatur und dem Austausch von entsprechenden Seminarplänen für die Lehre*. Eine erste Netzwerk-Konferenz soll am 30.11/01.12 auf Einladung des Lehrstuhl Meyens in München stattfinden. Details dazu folgen in den kommenden Wochen.

Es wird spannend, wie sich dieses Netzwerk entwickelt, ob es sich festigen und neue, kritische Impulse in die Kommunikationswissenschaft senden kann. Ich persönlich freue mich auf spannende, konstruktive und lehrreiche Diskussionen.

*Im kommenden Sommersemester 2017 wird es am IfKW ein Seminar zur kritischen Einführung von Sozialen Medien im Kapitalismus geben. Das Seminar wird geleitet von Dr. Thomas Allmer (University of Stirling) und mir. Den Seminarplan und entsprechende Literatur werdet ihr auch auf diesem Blog finden.

Hier findet ihr den Gründungsaufruf Netzwerk KriKoWi:

Netzwerk Kritische Kommunikationswissenschaft – Aufruf zur Gründung

Mit dem Netzwerk wollen wir innerhalb der deutschsprachigen Kommunikationswissenschaft einen Raum schaffen für kritische wissenschaftliche Forschung über Medien und Kommunikation.

Die Notwendigkeit Kritischer Kommunikationswissenschaft liegt in der Realität des Mediensystems begründet (Kommodifizierung, Ideologisierung, Arbeitsbedingungen, etc.). Kritische Kommunikationswissenschaft findet aufgrund der jahrzehntelangen Marginalisierung im deutschsprachigen Raum zurzeit eher in benachbarten Disziplinen sowie international statt. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit eines eigenen Netzwerks.

Unter Kritischer Kommunikationswissenschaft verstehen wir Forschung mit einem Bezug zu Gesellschaftstheorie und Kapitalismusanalyse, mit einem Fokus auf Herrschaftsformen und Machtungleichgewichte, mit einem Verständnis von der historischen Gewordenheit gesellschaftlicher Verhältnisse und mit der Perspektive auf deren Transformation. Daraus ergibt sich notwendig ein Praxisbezug im Sinne einer engagierten Wissenschaft.

Die so verstandene Kritische Kommunikationswissenschaft umfasst verschiedene Theorietraditionen, wie die kritische Politische Ökonomie der Medien und der Kommunikation, die kritischen Cultural Studies, den Autonomen Marxismus, die Frankfurter Schule, postmoderne und feministische Medientheorien, aber auch kritische psychoanalytische Ansätze. Auch viele aktuelle Initiativen wie Platform Cooperativism, Free/Libre Open Source Software, Adbusting, Medienreformbewegungen, Non-Profit Free Open Access und Alternative Medien sind in diesem Kontext zu verorten.

Wir wollen uns die bestehende theoretische und empirische Forschung aneignen und diese weiterentwickeln. Dazu wollen wir uns über aktuelle und wiederentdeckte Literatur austauschen, diese auf gemeinsamen Workshops und Tagungen aufarbeiten, kritisch diskutieren, darauf beruhende eigene Arbeiten vorstellen sowie weitere Forschungsprojekte anstoßen. Um die Perspektive der Kritischen Kommunikationswissenschaft auch in der universitären Lehre zu stärken, wollen wir geeignete Seminarpläne und Lehrkonzepte entwickeln und einander bei deren Umsetzung beraten. (…)

  1. März 2017

Dr. Thomas Allmer (University of Stirling)

Sevda C. Arslan, M.A. (Universität Mannheim)

Dr. Nils S. Borchers (Universität Leipzig)

Ada Fehr, M.A. (Freie Universität Berlin)

Prof. Dr. Christian Fuchs (University of Westminster)

Dr. Uwe Krüger (Universität Leipzig)

Kerem Schamberger, M.A. (Ludwig-Maximilians-Universität München)

David Schieferdecker, M.A. (Universität Mannheim)

Prof. Dr. Armin Scholl (Westfälische Wilhelms-Universität Münster)

Dr. Sebastian Sevignani (Friedrich-Schiller-Universität Jena)

Christian Strippel, M.A. (Freie Universität Berlin)

Univ. Prof. em. Dr. Manfred Knoche (Universität Salzburg)